Glaube oder positives Denken?

«Du glaubst zu wenig, deshalb…»

Gott reagiert auf unseren Glauben. Doch wie können wir zu einem grösseren Glauben gelangen? Viele Christen fühlen sich schuldig, zu wenig zu glauben – und verlieren dabei Gott aus den Augen. Das sollte nicht sein.
Kreuz auf einem Hügel

«Du musst nur ganz fest glauben», sagt jemand mit sanfter Stimme. Die Frau, welche seit längerer Zeit nicht mehr nur an ihrer Krankheit, sondern zunehmend auch an einer Depression leidet, fragt sich, woher sie denn die Kraft zum «ganz fest glauben» nehmen soll. Dabei blickt sie auf ihre Schwächen, Grenzen und Zweifel – ein barmherziger Gott scheint in unerreichbarer Ferne.

Die Kraft des positiven Denkens

Durch Autoren wie den amerikanischen Pfarrer Norman Vincent Peale oder Dr. Joseph Murphy wurde vor einigen Jahrzehnten die Kraft des positiven Denkens einem breiten Publikum präsentiert. Tatsächlich haben viele davon profitiert, denn Positives Denken hat Einfluss auf unser Leben – sogar auf unsere Gesundheit. Dass der christliche Glaube gewisse Parallelen mit dem positiven Denken hat, sollte aber nicht dazu führen, die beiden Dinge miteinander zu verwechseln, denn dadurch kann grosser Schaden entstehen.

Eine positive Lebenseinstellung

«Wir brauchen keinen grossen Glauben, nur einen Glauben an einen grossen Herrn.» Diese bekannte Aussage von Hudson Taylor bringt es auf den Punkt. Glaube richtet sich nicht auf den Glaubenden, sondern auf Gott. Positives Denken hingegen blickt auf sich selbst. «Ich muss positiv denken» nimmt sich jemand vor und wenn dann das gewünschte Resultat ausbleibt, glaubt er, sich mehr anstrengen zu müssen.

Eine positive Gesinnung einzunehmen, kann durchaus angemessen sein. Dies ist aber nicht Glaube, sondern einfach eine gesunde und konstruktive Lebenseinstellung. Und so wirksam diese positive innere Haltung auch sein mag, ist das Wirkungsfeld doch begrenzt. Dies muss bedacht werden, damit Positives Denken nicht plötzlich krank macht.

Allmacht und Selbsterlösung

Glaube, wie die Bibel ihn uns beschreibt, ist keine Macht an sich, sondern lediglich das Anteilhaben an dem, was Gott ist, getan hat und heute tut. Beim positiven Denken, sofern es radikal zu Ende gedacht wird, liegt alles am Menschen und dessen Gedanken. «Du kriegst, was du denkst», wird gesagt und das Rezept liegt im Einüben entsprechender Gedanken. So steht dann jemand vor dem Spiegel und sagt so lange «ich bin ein Kind Gottes!», bis er es glaubt. Sollte das wirklich funktionieren, wäre es nicht nötig gewesen, dass Jesus am Kreuz für uns starb. Wir würden aufgrund unserer Gedanken gerettet – das wäre Selbsterlösung.

Ähnlich verhält es sich bei vielen anderen Dingen, die durch positives Denken oder das Aussprechen positiver Worte erlangt werden wollen. Es kann beispielsweise geglaubt werden, dass das Wirken jedes beliebigen Wunders in der eigenen Macht liegt – man muss dies nur genug wollen und sich durch positives Denken und Proklamieren aneignen. Das Ausbleiben des Wunders kommt dann persönlichem Versagen gleich.

Glaube ist beziehungsorientiert

Die Wirkung von Willen und Proklamation erstaunt immer wieder. Früher oder später hat aber alles Grenzen. Ein Glaube, wie er von der Bibel beschrieben wird, wird nicht aus sich selbst erzeugt, sondern baut auf Gottes Wort. Der positiv Denkende vertraut auf sich selbst (seine Gedanken) und konzentriert sich auf das Gewünschte, während der Glaubende auf Gott fokussiert ist. Glaube ist eine Sache von Beziehung, während es beim Positiven Denken um Disziplin und Technik geht. Pauschale Aussagen wie «du glaubst zu wenig» sind nicht beziehungsorientiert. Sie stärken weder die zwischenmenschliche Beziehung, noch die Beziehung des Leidenden mit Gott. Solche Aussagen führen dazu, auf sich selbst und seine Mängel beim Glauben zu blicken. Damit wird der Glaube nicht gestärkt.

Glaube ist mehr als ein Entscheid

Mangelnder Glaube kann tatsächlich ein Hindernis sein, um Gottes Wirken zu erfahren. An dieser Stelle geschieht aber häufig der Trugschluss, dass wir uns zum Glauben entscheiden und diesen aus eigener Kraft vermehren können. Das Positive Denken lehrt uns, dass dies so funktioniert und diese Lehre hat in vielen Kirchen Spuren hinterlassen.

Wir müssen aber Positives Denken von Glauben unterscheiden! Der Glaube richtet sich immer an Gott aus. Um Glauben aufzubauen, rede ich mir diesen nicht ein, sondern beschäftige mich mit Gottes Wort. Ich suche Gott und strebe danach, ihn besser kennenzulernen. Je mehr ich Gottes Wesen erkennen, in der Beziehung mit ihm wachse und in ständiger Gemeinschaft mit ihm lebe, desto mehr wächst mein Glaube.

Notleidende an Gottes Herz führen

Wer an das positive Denken glaubt, wird Notleidende anhalten, sich in ihrem Denken zu disziplinieren oder mehr zu glauben. Wenn wir die Wirkungsweise des Glaubens verstanden haben, werden wir aber unermüdlich auf Gott hinweisen. Wer gerade den Ehepartner an Krebs zu verlieren droht, soll einen liebevollen, barmherzigen, tröstenden und allmächtigen Gott kennenlernen. Glaube ist nicht die Technik, um die eigenen Wünsche erfüllt zu bekommen – so gut (und biblisch) diese auch sind. Glaube führt an Gottes Herz und zu neuer und frischer Erkenntnis über sein Wesen.

Eine leidende Person zu mehr Glauben anzuhalten, wird nichts bringen. Glaube entsteht im Blick auf Gott, im Beschäftigen mit seinem Wort, dem Hören von guten Predigten, im Gebet oder beim Erinnern an Gottes Wirken. Im Glauben finden wir innere Ruhe und erfahren Gottes Trost. Der Glaube kann zum Erfahren von Wundern führen oder zur Kraft, Dinge zu ertragen. Auf jeden Fall ist Glaube kraftvoll und vermag Berge zu versetzen – er sollte aber nicht mit positivem Denken verwechselt werden.

Zum Thema:
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Datum: 05.01.2023
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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