Rings of Hope

Hoffnung bedeutet, Gutes in der Zukunft zu sehen

Witwen eines Projekts von Rings of Hope
Julia Henke und drei Freundinnen gründeten 2015 die Bewegung Rings of Hope. Dank der geistlichen Gemeinschaft sowie wirtschaftlichen und sozialen Projekten fassen traumatisierte Frauen neuen Mut, aufzustehen und ihre Zukunft zu gestalten.

Am Anfang stand die persönliche Begegnung von Frau zu Frau: Nigerianische Witwen, deren Männer von Terroristen umgebracht wurden, erhielten einen Ring als Symbol ihrer Würde. Das Schmuckstück sollte sie im Alltag daran erinnern, dass sie nicht verlassen sind. Daraus entwickelte sich eine Bewegung, der bereits 4'000 Witwen angehören.

Afrika

«Schon als Teenager interessierte ich mich für andere Kulturen», erzählt Julia Henke. Während ihres Studiums der Sozioökonomie in Genf lernte sie eine Nigerianerin kennen. «Wir wurden Freundinnen und ich durfte ihre Trauzeugin sein. Damals reiste ich zum ersten Mal nach Nigeria und habe seither ein Herz für dieses Land.» Eine Reportage über die Verschleppung von Frauen durch die islamistische Sekte Boko Haram löste bei Julia grossen Schmerz aus: «Auch wenn manche später freikommen, bleiben sie stigmatisiert und werden von den Menschen in ihren Dörfern, Kirchen und Moscheen oft abgelehnt.» Sie wollte etwas unternehmen.

Füsse waschen

Julia Henke, Geschäftsleiterin von Rings of Hope

Als sie für die Situation betete, sah sie ein inneres Bild, wie sie einer Frau die Füsse wusch und ihr einen Ring an den Finger steckte. «Die Fusswaschung kannte ich aus der christlichen Tradition, aber die Idee des Rings überraschte mich selbst. Ich empfand, dass es eine Liebesbotschaft von Gott an diese traumatisierten Frauen ist: 'Ich sehe deinen Schmerz und ich habe dich nicht verlassen.'»

Julia lud drei Freundinnen ein, mit ihr nach Nordnigeria zu reisen, um die verschleppten Frauen aufzusuchen. Sie hatten den Eindruck, dass es bei dieser ersten Reise einfach darum ging, den Frauen zuzuhören und ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Vielleicht würden ja später konkretere Hilfeleistungen folgen – so die Überlegung der vier Schweizerinnen.

Ein Ring als Symbol der Würde

In Nigeria angekommen, konnten sie dank örtlicher Christen Kontakt mit fünfzehn Frauen herstellen. Alle waren von Boko Haram gefangen gehalten worden und wieder freigekommen. Viele der Frauen wurden gewaltsam bearbeitet oder gezwungen, die Doktrin der Sekte zu übernehmen, damit sie mit den Terroristen zwangsverheiratet werden konnten. «Es gibt auch sehr viele Musliminnen, die dieses schreckliche Schicksal erlitten haben. Wir arbeiten im Moment ausschliesslich mit christlichen Opfern, weil wir unser Netzwerk dank kirchlichen Kontakten aufgebaut haben.» Nach der zweiten Reise weitete sich Rings of Hope auch auf Witwen aus: «Es gibt sehr viele Witwen, weil Boko Haram gezielt Männer umbringt. So müssen die Frauen ihre Kinder allein grossziehen», erklärt Julia.

Das Herz wird berührt

«Eine Frau erzählte mir, wie sie auf der Flucht ihre beiden Kinder unter einem Baum zurücklassen musste, um nach Lebensmitteln zu suchen. Als sie zurückgekehrt war, lebte nur noch eines der beiden. Die Frau blieb ganz ruhig, als sie mir davon erzählte, und ihr Gesicht wirkte seltsam starr», erzählt Julia. «Nichts schien zu ihr durchzudringen, auch nicht unser Gebet. Doch als ich ihr am Schluss der Begegnung einen schönen Ring überreichte, löste sich ihre versteinerte Miene. Es war, als ob ihre Seele aus einer Umklammerung befreit wurde und sie konnte endlich ihren Tränen freien Lauf lassen.»

Neue Kraft

Jedes Mal, wenn sie ihn betrachten, erinnert der Ring die Frauen daran: «Gott sieht mich und sorgt für mich.» Sie hören den Bibeltext aus Jesaja Kapitel 54, wonach Gott sich wie ein Ehemann und Vater um Witwen und Waisen kümmert. Viele fassen neues Vertrauen in einen liebenden Gott. Nicht wenigen gibt dieser Glaube die Kraft, sich gegen missbräuchliche Schwiegereltern durchzusetzen, einer Zwangsheirat durch ihre Verwandtschaft zu entgehen oder aus der Prostitution auszusteigen.

Praktische Hilfe

Heute gehören auch Mikrofinanzprojekte zur DNA der Hoffnungsbewegung. Jeweils zwölf Frauen treffen sich wöchentlich, legen ihr Geld zusammen und unterstützen sich dabei, ein kleines Geschäft zu führen, mit dem sie ihre Familie durchbringen können. In diesen Hoffnungskreisen ("Ringen") können sie einander helfen, dank einfachen Hilfestellungen ihr Trauma zu bewältigen. Darlehen in Form von Ziegen oder Dünger sind weitere Beispiele, wie den Frauen praktisch geholfen wird.

Ungefähr 70 Prozent der Frauen können weder lesen noch schreiben. Weil Bildung eine so zentrale Rolle in der Stärkung der Frauen spielt, wurden in mehr als zwanzig Dörfern Alphabetisierungskurse durchgeführt. Auch andere Frauen, die keine Witwen sind, profitieren von diesem Angebot. Julia und ihr Team erleben: «Wenn wir uns durch den Schmerz anderer bewegen lassen, ist das wie ein Stein, der ins Wasser fällt – eine kleine Handlung kann auf längere Sicht eine grosse Wirkung entfalten.»

Als ganzer Mensch gefragt

Die Gründerinnen von Rings of Hope sind Fachpersonen mit Expertise in den Bereichen Krankenpflege, Psychotherapie und Sozioökonomie. Doch diese Qualifikationen waren weniger gefragt als ihr Menschsein. Intuition und ein feines Gespür für Gottes Geist ist ihnen weiterhin sehr wichtig bei kleinen und grösseren Entscheidungen. «Nachdem wir die Fakten ausgelegt haben, gönnen wir uns einen Moment der Stille, um in uns reinzuhören. Wir gehen dort vorwärts, wo wir keinen inneren Widerstand spüren. Als Lenkinstrument im Team funktioniert dies für uns viel besser als abzustimmen.»

Ermächtigung

Respekt vor den Gegebenheiten vor Ort ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. «Wir wollen die lokalen Ressourcen fördern und auf den Stärken aufbauen, die in den Menschen und ihrer Kultur angelegt sind.» Das brauche mehr Zeit und Geduld, doch stärkt es die Identität der Menschen nachhaltig, wenn sie sich einbringen können.

Die Ermächtigung der Frauen hat eine hohe Priorität. «Die Witwen leiten ihre Hoffnungsbewegung selbst. Sogar die Alphabetisierungskurse wurden von einer Frau koordiniert, die selbst noch dabei war, besser Lesen und Schreiben zu lernen.»

 «Die Art und Weise, wie wir ein Programm durchführen, ist ebenso wichtig wie der Inhalt selbst», betont Julia. Sie habe von ihren afrikanischen Geschwistern sehr viel gelernt. «Ich fühle mich reich beschenkt durch sie. Ich bin wohl am meisten transformiert worden durch diese Erfahrung.»

In den letzten Jahren sind in Nigeria zwei weitere Hoffnungsbewegungen entstanden: unter Waisenkindern und unter jungen Geschäftsleuten. Seit 2023 ist Rings of Hope auch in Kamerun tätig, wo es ebenfalls viele Opfer von Boko Haram gibt.

Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Julia Henke an:
 

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Datum: 22.05.2024
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet

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