Über Äpfel gestolpert

Die einst schreiende Apfelgräfin

Daisy Gräfin von Arnim
Das Leben von Daisy Gräfin von Arnim verlief mehr als spannend. Inzwischen hat sie in einem von Arbeitslosigkeit bedrückten und vernachlässigten Gebiet in der ehemaligen DDR eine Touristenattraktion geschaffen. Man kann dort Schlafen wie die Grafen.

«Sie ertrugen den Raub ihrer Güter mit Freuden, denn sie wussten: Sie hatten ein himmlisches Zuhause.» Daisy Gräfin von Arnim zitiert aus dem Hebräerbrief. Sie weiss, was es bedeutet, die Heimat zu verlieren. Sowohl ihre Vorfahren als auch die ihres Mannes sind in den Wirren des 2. Weltkriegs in den Westen geflohen. Ihr Mann Michael kommt aus einer Familie, die vor dem Krieg den grössten Adelssitz in Brandenburg hatte, die rund 13’900 Hektar umfassende Boitzenburg in der Uckermark in der DDR. Mit der Aufgabe der Heimat verband sich auch ein materieller Verlust, weil die Kommunisten sie 1945 enteignet hatten. Von etwa 1955 bis 1990 wurde das Schloss durch die Nationale Volksarmee der DDR als Erholungsheim genutzt. 

Michael und Daisy von Arnim hatten auch nach der Wiedervereinigung Pech: Wer wie sie mehr als 100 Hektar an Boden besass, blieb auch unter der gemeinsamen Bundesregierung enteignet. «Jetzt ist alles möglich», schoss es Daisy von Arnim trotzdem durch den Kopf, als sie kurz nach dem Mauerfall erstmals die innerdeutsche Grenze passierte. So kehrte das kinderlose Ehepaar 1995 in die alte Heimat in das 100-Seelen-Dorf Lichtenhain zurück – hingezogen quasi in die Mitte des Nichts, 80 Kilometer nordöstlich von Berlin.

Familie muss eigenes Haus zurückkaufen

Das Ehepaar mietet sich in Haus Lichtenhain ein, das einmal zu Schloss Boitzenburg gehörte. Daisy war gelernte Buchhändlerin, ihr Mann Michael arbeitete als landwirtschaftlicher Berater. Man muss sich die ganze Gegend damals vorstellen – wie nach dem Krieg: Es wurde nichts in Stand gehalten oder renoviert. In das Haus Lichtenhain waren nach 1945 Flüchtlinge gezogen. Das ganze Haus war komplett verbaut und auf neun Wohnungen aufgeteilt. In die neunte Wohnung zogen Daisy und Michael ein.

1997 konnten die beiden das Haus von der Gemeinde zurückkaufen. Die erste Wohnung renovierten sie selbst. Für die Menschen im Haus war das sehr ungewöhnlich. 50 Jahre hatten sie gehört, dass die Grafen böse Ausbeuter sind. Jetzt sahen sie verwundert, dass sie selbst arbeiten und dass die Gräfin nicht den ganzen Tag im Abendkleid herumläuft: «Ich sage immer, ich bin eine Gräfin fürs Volk und ich bin sehr dankbar, dass die Menschen in der Uckermark das so toll angenommen haben.» Die Gräfin hat mit ihrem Engagement die Herzen der Menschen in der Uckermark gewonnen. Und sie lädt andere ein, die Heimat ihrer Vorfahren zu besuchen und beispielsweise die Ferien im Haus Lichtenhain zu verbringen. Dort können sie schlafen wie die Grafen.  

«Äpfel vor die Füsse gelegt»

Sie pachten landwirtschaftliche Flächen darum herum. Der Anfang war armselig, hart und brachte sie an die Grenze ihrer Kraft. Tausend Ideen hatte die Gräfin, was sie hier nun machen wollte mit «ihrem schönen Leben». Doch dann war der Start von einigen Fehlschlägen geprägt: vom Gänserupfen über Jackenstricken, nichts passte so richtig zu ihr. So kam es, dass sie sich in der Kirche in Klaushagen einschloss, wo sie ehrenamtlich die Orgel spielte. Sie musste laut schreien. Es hörte sie ja niemand: «Man muss Gott nicht immer nur leise bitten. Die Psalmen sagen: Man soll schreien!»

Und Gott reagierte. Daisy Gräfin von Arnim: «Er hat mir Äpfel vor die Füsse gelegt.» Hinter ihrem Haus ist ein wunderschöner Weg mit lauter Äpfeln. Sie war im Auto, als es holperte und sie über einen Teppich von Äpfeln fuhr. Sie stieg aus, entdeckte die vielen Äpfel und da machte es klick: «Wir müssen mosten! So ein simpler Gedanke, so etwas Einfaches! Es liegt da und ich sehe es nicht. Ich brauchte mein Glück nur aufzuheben!» Sie hat sich dann im Jahre 2000 ganz abenteuerlich zur Hobby-Mosterin gewandelt, Maschinen zum Apfelsaftmachen gekauft – und angefangen. «Gott hatte mir die Äpfel auf einer Strasse vor die Füsse gelegt und mir gesagt, du wirst etwas aufheben. Das habe ich getan.»

Apfeleinkommen das ganze Jahr

So betreibt Daisy von Arnim heute eine eigene Apfelmosterei, fertigt Marmeladen, Chutneys und Gebäck aus den heimischen Apfelsorten. Auf der «Grünen Woche» in Berlin bekam sie einen Preis für ihre Erfindung «Apfel Caramel». Das Gutshaus wurde stilecht renoviert. Im ehemaligen Dorfkonsum befindet sich heute der Hofladen und ein Café. Dort bieten die Apfelgräfin und ihr Team selbstgemachten Kuchen, Kaffee, frischen Apfelsaft und hauseigenen Apfeltee an. Von den lauschigen Sitzplätzen können Gäste direkt auf die hofeigenen Apfelbäume blicken. Dadurch haben Menschen in der strukturschwachen Region Arbeit über die Apfelernte hinaus gefunden.

Heute kennt sich Daisy Gräfin von Arnim, besser bekannt als «die Apfelgräfin aus der Uckermark», mit Äpfeln und ihrer Verarbeitung aus wie keine zweite, wie ein YouTube-Video zeigt. Die Arbeit erfüllt sie: «Wenn ich eines Tages vor meinem Schöpfer stehe, werde ich sagen: Ich habe so voll gelebt, dass ich jetzt leer sterben kann.» Sie ist überzeugt: «Wir müssen doch etwas bewegen in dieser Welt.» Ihr Herzensanliegen ist es, Arbeitsplätze zu schaffen. Arbeit ist in der Uckermark das grosse Thema. Die Gräfin nutzt ihr Unternehmersein und ihren Namen auch zum Weitergeben der frohen Botschaft: «Diesem Land hilf nichts weiter als Gott. Die Uckermark hat 400 Seen. Die sind dafür da, dass die Leute alle getauft werden.» So setzen Daisy und Michael als Christen ein Zeichen der Hoffnung in einer einst trostlosen Region.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Dienstagsmail.

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Datum: 05.10.2023
Autor: Markus Baumgartner
Quelle: Dienstagsmail

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